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Blog-Archiv 'Digitalisierungsprojekte' 2012–2015

„Bibliothèque virtuelle de Clairvaux — 1472“

16.02.2015 – 16:04 | Maria Lesimple

Ein Projekt wie die „Bibliotheca Laureshamensis – digital“ unterstreicht die Bedeutung mittelalterlicher Klosterbibliotheken für die Wissenschaft. Diese Bibliotheken und deren Bestände gelten heute als Spiegelbild des Wissens des europäischen Mittelalters. Die Ambition, solche Sammlungen digital wieder zusammenzuführen, erfordert oft eine Kooperation von mehreren Institutionen, da die Handschriften heute meist weltweit zerstreut sind.

Weitere Digitalisierungsprojekte, die diese bemerkenswerten Bibliotheken erneut ins Licht rücken, entstehen momentan in verschiedenen europäischen Ländern. Im Juni 2015, im 900. Jubiläumsjahr der Gründung der Abtei Clairvaux, soll die Website eines französischen Projektes veröffentlicht werden, welche Zugang zu etwa 1100 digitalisierten Handschriften bietet. Diese Manuskripte bilden den noch erhaltenen Bestand der Bibliothek der Zisterzienserabtei. Ein 1472 entstandenes Inventar listet rund 1800 Codices auf und bestätigt somit, dass Clairvaux eine der reichsten Bibliotheken Europas war. Von 1115 erhaltenen Handschriften befinden sich heute 1018 in der Mediathek von Troyes (ungefähr 70 km von Clairvaux entfernt). Die restlichen Codices sind auf acht weitere Institutionen verteilt: die Bibliothèque nationale de France, die Bibliothèque Sainte-Geneviève in Paris, die Bibliothèque interuniversitaire in Montpellier, die Bibliothèque municipale in Laon, die Bibliothèque municipale in Mons, die Biblioteca Medicea Laurenziana in Florenz, die British Library in London sowie die Ungarische Nationalbibliothek in Budapest.

Der ehemalige Bestand der Klosterbibliothek Clairvaux, wie er im Inventar aus dem Jahr 1472 verzeichnet ist, wurde 2009 in das Register „Memory of the World“ der UNESCO aufgenommen. Die Erschließung der mittelalterlichen Bibliothek durch dieses Projekt ist eine Initiative der Mediathek von Troyes in Zusammenarbeit mit der Städtegemeinschaft „Grand Troyes“ und weiteren Institutionen. Das Vorhaben, das sich an Wissenschaft und interessierte Laien richtet, ist eines von zahlreichen Projekten, die im Rahmen des 900. Jubiläums der Gründung des Klosters Clairvaux 2015 geplant sind. Unter anderem werden die noch erhaltenen Bauten restauriert sowie ein Kolloquium und eine Ausstellung organisiert.

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„Carolingian Culture at Reichenau & St. Gall“ – Karolingische Handschriften aus dem Bodenseeraum“

15.05.2013 – 10:21 | Michael Kautz

Von 2004 bis 2008 entstand an der University of California in Los Angeles, gefördert von der Andrew W. Mellon Foundation, eine digitale Publikation des berühmten, etwa in den 820er Jahren entstandenen „St. Galler Klosterplans“ mit dem Grundriss eines karolingischen Idealklosters. Im Anschluss begann man, eine Auswahl von 169 karolingerzeitlichen Handschriften aus dem ehemaligen Bibliotheksbestand von St. Gallen und aus dem benachbarten Kloster auf der Bodenseeinsel Reichenau in einer virtuellen Bibliothek zusammenzustellen, um den kulturellen Hintergrund des Klosterplans sichtbar und erforschbar zu machen.

Die virtuelle Bibliothek bietet mittlerweile digitale Reproduktionen aller 169 Handschriften, deren Hauptteil aus der Stiftsbibliothek St. Gallen und der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe stammt. Die Digitalisate werden mit kodikologischen Erschließungsinformationen (Entstehungsort und -zeit, Aufbau des Buches und Anlage der Seite) sowie Daten zum Inhalt angereichert und die Texte in ihrer Struktur bis auf Kapitelebene erschlossen. Hinzu treten Angaben und manchmal auch direkte Links zu modernen Textausgaben und Übersetzungen sowie Links zu Literaturdatenbanken und mediävistischen Fachlexika. Über eine Recherchemaske können die erhobenen Metadaten zum Inhalt – teils frei, teils gezielt nach ausgewählten Kategorien – durchsucht werden. Einen leichten Einstieg in die Lektüre einiger Handschriften (z.B. St. Gallen, Stiftsbibl., Cod. 914) gewähren die hinzugefügten „Transkriptionen“, auch wenn diese nicht die jeweilige Handschriftenvorlage abbilden, sondern einer modernen Textausgabe entnommen sind. Für Anfänger interessant ist eine kurze Einführung zum Lesen karolingischer Handschriften, auch für Fortgeschrittene aufschlussreich sind die Hintergrundtexte („Tours“ oder „Virtual Exhibitions“ genannt) zu den Bibliotheken und zur Buchproduktion in den beiden Klöstern aus dem Bodenseegebiet.

Die unter dem Titel „Carolingian Culture at Reichenau & St. Gall. The Carolingian Libraries of St. Gall and Reichenau“ laufende virtuelle Bibliothek zielt zwar nicht auf eine digitale Reproduktion und Erschließung sämtlicher erhaltener Handschriften aus St. Gallen und von der Reichenau. Durch den Schwerpunkt, den die karolingerzeitlichen unter den Lorscher Manuskripten bilden, und die Zielsetzung, relevante Corpora Wissenschaftlern wie weiteren Interessierten zugänglich zu machen, sind beide Projekte aber dennoch miteinander verbunden. Insbesondere die technische Umsetzung des UCLA-Projektes, Digitalisate, Metadaten und Transkriptionen nicht nur zu verlinken, sondern auf einer Browser-Seite gemeinsam darzustellen, zeigt Zukunftsperspektiven bis hin zu digitalen Editionen auf.

Trierer „Virtuelles Skriptorium St. Matthias“

11.12.2012 – 08:54 | Michael Kautz

In loser Folge werden zukünftig an dieser Stelle Digitalisierungsprojekte zu mittelalterlichen Handschriften vorgestellt. Der „Bibliotheca Laureshamensis – digital“ in Ziel- und Umsetzung am stärksten verwandt ist das „Virtuelle Skriptorium St. Matthias“, weshalb damit begonnen werden soll.

Das von der Universität Trier und der Stadtbibliothek Trier gemeinsam getragene und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, alle erhaltenen Handschriften aus der Bibliothek des ehemaligen Klosters St. Eucharius-St. Matthias bei Trier virtuell wieder zusammenzuführen. Die Anfänge des Klosters reichen bis in die Spätantike zurück. Nachdem es zunächst unter dem Patrozinium des vermutlich ersten Trierer Bischofs Eucharius (3. Jh.) stand, nahm die Abtei im 12. Jh. den Apostel Matthias als Schutzpatron an, dessen Gebeine unter Kaiser Konstantin d.Gr. (306-337) nach Trier überführt worden sein sollen und hier 1127 aufgefunden wurden. Im Gefolge der Besatzung des erzbischöflichen Sitzes und Zentrums des geistlichen Kurfürstentums Trier durch französische Revolutionstruppen wurde St. Matthias im Jahr 1802 aufgelöst. Die bereits im 9. Jh. in einzelnen Quellen fassbare Bibliothek wurde beschlagnahmt, zahlreiche Codices gelangten so an neue Besitzer. Die meisten, ca. 400 Manuskripte, verblieben jedoch bis heute in Trier und sind im Besitz der dortigen Stadtbibliothek und der Bibliothek des Bischöflichen Priesterseminars. Die restlichen 100 Handschriften sind auf knapp 25 Institutionen in Europa und den USA verstreut.

Im Rahmen des Projektes werden alle 500 Handschriften, die auf der Grundlage der 1996 publizierten Studie „Die Benediktinerabtei St. Eucharius-St. Matthias vor Trier“ von Petrus Becker ermittelt werden können, digital reproduziert und erschlossen. Die Manuskriptbeschreibungen, die über eine Datenbank für die wissenschaftliche Nutzung zur Verfügung gestellt werden, sind als fortlaufend zu ergänzende Dokumentationen konzipiert. Die virtuelle Rekonstruktion der Bibliothek von St. Matthias soll bis Ende 2013 abgeschlossen sein, bis Anfang November 2012 konnten bereits mehr als 200 Handschriften integriert werden. Weitere Features wie z.B. die Präsentation der „Handschrift des Monats“ ergänzen das Angebot und sollen es einem breiteren Publikum zugänglich machen.

Die bekannteste Handschrift aus St. Matthias ist die „Trierer Apokalypse“ (Trier, StB, Hs. 31 8°). Sie entstand Anfang des 9. Jh. in einem westfränkischen Zentrum, möglicherweise im Umkreis von Tours; teilweise wurden Passagen im 11. Jh. im Skriptorium von St. Eucharius neu geschrieben. Der Codex enthält neben dem neutestamentlichen Text zu jeder Doppelseite eine ganzseitige Miniatur – mit insgesamt 74 Illustrationen ist hier der umfangreichste und zugleich älteste erhaltene Bilderzyklus zur Offenbarung des Johannes überliefert. Die Illustrationen beruhen auf einer spätantiken Vorlage, Verbindungen zur karolingischen Buchkunst bestehen unter anderem in Analogien zu den runden Gesichtern mit weit geöffneten Augen auf den Elfenbeintafeln des „Lorscher Evangeliars“.

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