Blog-Archiv 'Projektverlauf' 2011–2016
- Letzte Lorscher Handschrift online
- Bedeutende Lorscher Handschriften
- Handschriften aus der Bodleian Library in Oxford online
- Elfenbeinerne Nazariustafel aus dem Museum August Kestner in Hannover
- Letzte Handschrift aus Österreich online
- Fragm. III Severus: Einzigartiger Zeuge spätantiker Bibeldichtung aus der Stadtbibliothek Trier
- „Lorscher Arzneibuch“ zum UNESCO-Weltdokumentenerbe ernannt
- „Lorscher Evangeliar“ – virtuell wieder vereint
- Zeugen antiker Medizin aus der Ratsschulbibliothek Zwickau
- Codex Pal. lat. 485 der Biblioteca Apostolica Vaticana: Ein Kleriker-Handbuch aus dem 9. Jahrhundert
- Neue Handschriftenbeschreibungen online: Das „Lorscher Arzneibuch“ und andere Codices Laureshamenses aus der Staatsbibliothek Bamberg
- Renaissanceeinbände des 16. Jahrhunderts aus der Bibliothek Ottheinrichs von der Pfalz
- Augsburger und Erlanger Fragmente: Reste einer Lorscher Prachthandschrift
- „Lorscher Rotulus“: Eine liturgische Buchrolle aus der Zeit Ludwigs des Deutschen ist online!
- Online: Spätantike Vergil-Handschrift
- „Lorscher Evangeliar“ online
- Nachzügler aus Speyer und Mainz
- Beschreibungen der Handschriften nun auch im Druck erschienen
- „Wiener Livius“: Erste Handschrift der Österreichischen Nationalbibliothek online
- Archivierte Einträge über 'Digitalisierungsprojekte'
- Archivierte Einträge über 'Vorträge und Ausstellungen'
Letzte Lorscher Handschrift online
02.12.2015 - 08:44 | Michael Kautz
Würzburg, Staatsarchiv, Mainzer Bücher verschiedenen Inhalts 72
„Codex Laureshamensis“
Lorsch, ca. 4. Viertel 12. Jh.
Als letztes der Manuskripte aus dem Lorscher Handschriftenerbe nach Bernhard Bischoff und Hartmut Hoffmann (s. Projektbeschreibung) ist Mitte November der Codex Laureshamensis (diplomaticus) im neuen Internetportal Archivum Laureshamense – digital online gegangen. Der Ende des 12. Jh. angelegte Codex ist sozusagen das Urkundenbuch des Klosters Lorsch und hat allein alle bekannten Urkunden vom 8. bis zum 12. Jahrhundert aus Lorsch in regestenartiger Kopialüberlieferung bewahrt. Besonders interessant ist er für die historische Topographie und Regional- und Heimatgeschichte, u.a. da er für zahlreiche Ortschaften in Süd- und Westdeutschland die Ersterwähnungen bietet. In unserem Schwesterportal wurde der Codex Laureshamensis für das wissenschaftlich sowie das allgemeiner interessierte Publikum mit der maßgeblichen Edition und deutschen Übersetzung verlinkt, und die im Codex genannten Orte wurden über ein alphabetisches Register und in interaktiven Karten erschlossen.
Der Codex Laureshamensis entstand im Lorscher Skriptorium und bietet als Einführung zum Kopialbuch auch eine Hauschronik des Klosters. Aus der Bibliotheca Laureshamensis – digital verlinken wir – im letzten Projektschritt – auf die Präsentation im Archivportal. Damit sind nun alle im Projekt anvisierten Handschriften in digitalen Reproduktionen online zugänglich und wissenschaftlich erschlossen. Insgesamt sind 331 Codices, Faszikel und Fragmente, die sich über 309 Signaturen in 73 Bibliotheken, Archiven und Museen in Europa und den USA verteilen, aufgenommen worden. Dabei handelt es sich um 287 (mehr oder weniger vollständig erhaltene) Handschriften, die in 208 Codices bzw. Bänden, einem Rotulus und 78 Faszikeln vorliegen, sowie 43 Fragmente und eine Elfenbeintafel von einem ehemaligen Bucheinband. 277 Handschriften gehen auf die Zuweisung Bischoffs zurück, 54 auf die Hoffmanns. Insgesamt umfasst die Virtuelle Klosterbibliothek Lorsch nahezu 75.000 Bilddateien.
Über den eigentlichen Projektrahmen hinaus wurden Manuskripte, deren Zuweisung an Lorsch nicht auf Bischoff oder Hoffmann beruht, in einer separaten Liste mit Weiteren Handschriften zusammengestellt, die auch zukünftig nach externen Meldungen fortgeführt werden soll. Auch hier konnten zu zahlreichen Handschriften Digitalisate bereitgestellt werden. Des Weiteren wurde der Buchschmuck detailliert in der Bilddatenbank heidICON erschlossen. Schließlich wird, das Projekt abrundend, im kommenden Jahr der Katalog der erhaltenen Handschriften aus Bibliothek und Skriptorium des ehemaligen Klosters Lorsch bei Harrassowitz im Druck erscheinen. Neben den Handschriftenbeschreibungen, die als PDF-Dateien in jeder Handschriftenpräsentation und über die Projektdatenbank bereits zugänglich und verregistert sind, wird hier einleitend eine ausführliche Darstellung der Forschungsgeschichte und des Forschungsstandes zum Lorscher Handschriftenerbe geboten werden.
Das gesamte Projektteam der Universitätsbibliothek Heidelberg bedankt sich bei seinen großzügigen Förderern, der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen unter ihrem Direktor Karl Weber und dem Museumszentrum Lorsch unter der Leitung von Dr. Hermann Schefers, sowie allen Partnerinstitutionen und Privatpersonen, die das Projekt mit Digitalisaten und Hinweisen zur Katalogisierung unterstützt haben und ohne deren Hilfe es nicht zu einem erfolgreichen Abschluss hätte geführt werden können. Wir hoffen, dass die Virtuelle Klosterbibliothek Lorsch zur weiteren Erforschung der mittelalterlichen Schrift- und Bibliotheksgeschichte einlädt wie auch beim Stöbern im spätantiken bis spätmittelalterlichen Buchbestand Freude bereitet und Interesse weckt.
Bedeutende Lorscher Handschriften
21.01.2015 – 12:47 | Michael Kautz
Eine Auswahl der bedeutendsten Lorscher Handschriften wurde nach philologischen und kunsthistorischen Kriterien zusammengestellt. Hierunter fällt zum Beispiel der „Wiener Livius“ mit der nur in diesem Manuskript überlieferten Passage aus den Geschichtsbüchern des antiken Historikers, die reich illustrierte Prachthandschrift des „Lorscher Evangeliars“ oder eine elfenbeinerne Buchdeckelverzierung des heiligen Nazarius, des Lorscher Schutzpatrons.
Alle Codices werden mehrsprachig mit einführenden Texten und Vorschaubildern präsentiert, und über Links gelangen Sie direkt zum digitalen Faksimile der gesamten Handschrift.
›› zu den Ausgewählten Handschriften
Handschriften aus der Bodleian Library in Oxford online
07.01.2014 – 08:34 | Alexandra Büttner
Mit den 20 Handschriften aus der Oxforder Bodleian Library ist nun auch der zweitgrößte Bestand an ehemaligen Lorscher Codices in die „Virtuelle Klosterbibliothek Lorsch“ integriert.
Unter den Oxforder Manuskripten befindet sich ein Prachtevangeliar des 11. Jahrhunderts (MS. Douce 292), das der sog. Oudalricus-peccator-Gruppe zugezählt wird und wohl in Lorsch oder Lüttich für einen deutschen König hergestellt wurde. Es ist leider nur unvollständig erhalten, die Evangelien nach Lukas und Johannes sind verlorengegangen. An den bewahrten Evangelienanfängen ist es mit ganzseitigen Miniaturen der Evangelisten Matthäus (fol. 6v) und Markus (fol. 69v) sowie mit jeweils folgenden Initialzierseiten geschmückt. Der Vorderdeckel des Einbandes wurde mit einem prachtvollen Metallrahmen verziert, in den unter anderem ein Bild des Stifters, Heinrichs III. oder Heinrichs IV. (?), rechts in der Mitte eingraviert wurde und der eine Elfenbeintafel umschließt, die den thronenden Christus zeigt. Am Anfang (fol. 1r) im 13. Jahrhundert eingetragene Personen- mit Ortsnamen belegen, dass der Codex zu dieser Zeit in einer Kirche in oder bei Laon in Frankreich aufbewahrt wurde. 1829 ist er im Besitz des englischen Antiquars Francis Douce nachweisbar, der das Evangeliar 1834 an die Bodleian Library vererbte.
Die restlichen 19 Handschriften stammen alle aus dem Besitz des Erzbischofs von Canterbury und Kanzlers der Universität Oxford William Laud († 1645). Am 28. Juni 1639 schenkte er sie mit zahlreichen weiteren Handschriften, die er hauptsächlich aus Kriegsbeuten im vom Dreißigjährigen Krieg erschütterten Deutschland bezogen hatte, der Bodleian Library, nachdem er alle Codices neu hatte binden und den Einband mit seinem Wappen in Goldprägung auf Vorder- und Hinterdeckel hatte ausstatten lassen. Vermutlich 18 Codices stammten aus dem 1631-1635 mehrmals von schwedischen und hessischen Truppen geplünderten Zisterzienserkloster Eberbach bei Eltville am Rhein, wohin sie wahrscheinlich in der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts aus Lorsch gelangt waren, als Mönche aus Eberbach versucht hatten, die Zisterzienserobservanz im dortigen Benediktinerkloster durchzusetzen. Eine der 19 Handschriften (MS. Laud. mis. 271) gelangte, ebenfalls während des Dreißigjährigen Krieges, aus der Würzburger Dombibliothek in den Besitz Lauds; das in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts vermutlich im Einflussbereich Lorschs geschriebene Manuskript geriet bald nach seiner Herstellung, spätestens im 10. Jahrhundert, auf unbekannten Wegen an den fränkischen Bischofssitz.
Sämtliche Handschriften aus der Sammlung Lauds bieten Texte spätantiker Kirchenväter und Bischöfe, die im 9. Jahrhundert kopiert worden waren. Ausnahmen sind lediglich: der Codex MS. Laud. misc. 159, der einen karolingerzeitlichen Kommentar zu den ersten acht Büchern des Alten Testaments enthält, zusammen mit einer Auslegung des Anfangs der Genesis aus der Feder des Angelsachsen Beda Venerabilis († 735); eine Predigtsammlung ( MS. Laud. misc. 427) stammt aus dem 10. Jahrhundert, und eine Bibelhandschrift ( MS. Laud. lat. 21) mit den Zwölf kleineren Propheten und zugehörigen Erläuterungen aus der sog. Glossa ordinaria wurde erst im 12. oder 13. Jahrhundert, möglicherweise in Lorsch, hergestellt. Auffällig ist das große Format fast aller 19 Handschriften; der Bücherliebhaber Laud scheint sie vor allem aus bibliophilen Gesichtspunkten ausgewählt zu haben, um eine prestigeträchtige Sammlung aufzubauen.
Elfenbeinerne Nazariustafel aus dem Museum August Kestner in Hannover
13.11.2013 – 15:01 | Michael Kautz
Hannover, Museum August Kestner
Inv.-Nr. 410
Elfenbeinerne Nazariustafel
Trier (?) oder Lorsch (?), ca. 4. Viertel 10. Jh.
Das Museum August Kestner in Hannover verwahrt eine Elfenbeinschnitzerei des heiligen Nazarius, die in ottonischer Zeit, wohl Ende des 10. Jahrhunderts, angefertigt wurde und nun in der „Virtuellen Lorscher Klosterbibliothek“ online gestellt ist.
Die 16,5 x 10 cm messende Tafel mit Palmettenrahmen zeigt einen Mann mit Heiligenschein und weist ihn mit der Siegespalme als Märtyrer aus. Im Redegestus steht er auf oder vor einer kleinen Arkadenreihe, die ihm als Sockel zu dienen scheint und vielleicht auch ein Gebäude oder einen Ort repräsentiert. Die Beischrift identifiziert ihn als S[AN]C[TV]S NAZARIVS.
Die Tafel zierte einst wohl die Buchdeckel einer liturgischen Prachthandschrift, vermutlich einer aus dem Lorscher Nazariuskloster. In Frage käme aber auch eine Kirche in Trier, wo Nazarius mit seinem Schüler Celsus im 3. Jahrhundert gewirkt haben soll. Wahrscheinlich wurde die zierliche Elfenbeinplatte unter Einfluss des sogenannten Meisters des Registrum Gregorii hergestellt, der im letzten Viertel des 10. Jahrhunderts in Trier als Buchmaler tätig war. Hier schuf er unter anderem ein Prachtsakramentar für Lorsch (heute Chantilly, Bibliothèque du château, Ms. 40), wo zu dieser Zeit Abt Salemann (972-999) die Kirche mit Goldschmiedearbeiten ausschmücken ließ und auch mehrere codices de monasterio sancti Nazarii mit edlen Prachteinbänden verzierte.
Letzte Handschrift aus Österreich online
18.10.2013 – 08:27 | Michael Kautz
Ein Lorscher codex discissus zwischen Rheinland, Neckar, Vatikan, Schwarzwald, Lavanttaler Alpen und nun wieder vereint im WorldWideWeb
Mit Cod. 110/6 aus dem Archiv des Benediktinerstifts St. Paul im Lavanttal sind nun alle bekannten Lorscher Handschriften, welche heute in Österreich aufbewahrt werden, in die Virtuelle Klosterbibliothek Lorsch integriert worden. Bei den Fragmentblättern aus Kärnten handelt es sich um das Ende eines Exemplars vom Tonar Bernos von der Reichenau, welches um die Mitte des 11. Jahrhunderts in Lorsch angefertigt wurde und der Oudalricus-peccator-Gruppe zugeordnet wird. Der Hauptteil des codex discissus, der zerteilten Handschrift, wird heute in der Biblioteca Apostolica Vaticana aufbewahrt (Vatikan, BAV, Pal. lat. 1344). Im Rahmen des Projektes konnten die beiden Teile nun mit Hilfe moderner Technik im Internet wieder zusammengeführt werden.
Der Tonar – eine nach den acht Kirchentonarten geordnete Zusammenstellung von Gesängen des gregorianischen Choralrepertoires – des Berno von der Reichenau († 1048) gehört mit seinem musiktheoretischen Prolog zu den meistüberlieferten Musiktraktaten des Mittelalters. Der Lorscher Codex entstand noch zu Lebzeiten des Autors oder nur kurze Zeit später. Über die Heidelberger Bibliotheca Palatina gelangte er 1623 in die vatikanische Bibliothek, wo er im 18. Jahrhundert die Aufmerkamkeit Martin Gerberts erregte. Der Fürstabt von St. Blasien im Schwarzwald (1764-1793) hat durch quellenbasierte historische Forschungen auf dem Gebiet der Kirchen- und Musikgeschichte seinen Namen bis heute bewahrt. Er ging jedoch nicht zimperlich vor und scheute auch nicht davor zurück, Blätter für spätere Studien aus ihrem Codex herauszureißen und unerlaubterweise an sich zu nehmen; seine bleibenden Verdienste gehen nicht allein zu Lasten des Diebstahls der neun Blätter aus dem Lorscher Tonar. Als das Kloster St. Blasien 1806 im Zuge der napoleonischen Umwälzungen aufgelöst wurde, suchte der Restkonvent eine neue Heimat, 1809 fand er mit einigem geretteten Habe, darunter auch einen Teil der Klosterbibliothek, einen Zufluchtsort in St. Paul im Lavanttal im habsburgischen Kärnten.
Ein weiteres Manuskript aus St. Paul im Lavanttal ist der Codex 8/1, der zwar nicht in Lorsch entstanden ist und auch nicht zum Bestand der Lorscher Klosterbibliothek gehörte, aber die sog. Lorscher Annalen – ein karolingerzeitliches Geschichtswerk, dessen Abfassung mit dem Kloster Lorsch in Verbindung gebracht wird – enthält. Ebenfalls digitalisiert wurde er in die Liste der „Weiteren Handschriften“ integriert, die als künftige Forschungsgrundlage die Virtuelle Klosterbibliothek Lorsch ergänzen soll.
St. Paul i. Lavanttal, Stiftsarchiv
Cod. 110/6
Berno Augiensis
Tonarius (Fragment)
Lorsch, ca. Mitte 11. Jh.
Cod. 8/1 in der Liste
„Weitere Handschriften“
Annales Laureshamenses
Reichenau, ca. 835
Fragm. III Severus: Einzigartiger Zeuge spätantiker Bibeldichtung aus der Stadtbibliothek Trier
14.08.2013 – 08:02 | Michael Kautz
Nach einem Eintrag in einem Lorscher Bibliothekskatalog (Vatikan, BAV, Pal. lat. 1877, fol. 31v) befand sich im 9. Jh. im dortigen Kloster eine Handschrift mit spätantiker Bibeldichtung von drei verschiedenen Autoren:
Metrum Seueri episcopi in euangelia, libri XII, eiusdem eglogas X, eiusdem Georgicon, libri IIII; metrum Cresconii in euangelia, liber I, eiusdem de diis gentium luculentissimum carmen, eiusdem uersus de principio mundi uel de die iudicii et resurrectione carnis; metrum Aratoris in actibus apostolorum, libri II; in uno codice.
Die versifizierte Apostelgeschichte des Arator (6. Jh.) war mittelalterliche Schullektüre und ist in zahlreichen Handschriften erhalten. Die drei genannten Werke des Cresconius hingegen sind verlorengegangen, auch die Identität des Autors ist nicht geklärt. Bei Severus handelt es sich wahrscheinlich um den 602 verstorbenen Bischof von Málaga; von den Eklogen und dem Georgicon ist nichts überliefert, seine Evangeliendichtung wäre ohne die in der Trierer Stadtbibliothek aufbewahrten Fragmente ebenfalls vollständig verloren.
Vermutlich handelte es sich bei dem um 860 im Lorscher Katalog verzeichneten Codex um die Handschrift, von der heute nur noch drei verschmutzte und verblasste Doppelblätter in der Stadtbibliothek Trier unter der Signatur Fragm. III Severus erhalten sind. Das Manuskript entstand um die Mitte des 9. Jh., an welchem Ort, ist unbekannt. Spätestens seit der Barockzeit befanden sich zumindest die erhaltenen Fragmente in Trier. Dort wurden sie 1967 von Bernhard Bischoff entdeckt, 1994 von Otto Zwierlein und anderen beschrieben und der Text herausgegeben. Die sechs Blätter enthalten das Ende des 8., das komplette 9. und den Anfang des 10. der zwölf Bücher Evangeliendichtung des Severus. Mit knapp 720 Versen sind sie die einzigen direkten Zeugen für das literarische Werk des mutmaßlichen Bischofs von der iberischen Halbinsel.
Die Trierer Fragmentblätter erinnern außerdem an weitere altchristliche Dichter und Autoren der Kirchenväterzeit, deren Werke nach Ausweis der alten Bibliothekskataloge im 9. Jh. zahlreich in Lorsch vertreten waren, heute aber zum Teil gänzlich verschollen sind.
„Lorscher Arzneibuch“ zum UNESCO-Weltdokumentenerbe ernannt
21.06.2013 – 13:29 | Alexandra Büttner
Das „Lorscher Arzneibuch“ gilt als die älteste medizinische Handschrift des abendländischen Mittelalters. Schon lange der Öffentlichkeit und Forschung bekannt, wurde seine Bedeutung nun von der UNESCO durch die Aufnahme in das Register „Memory of the World“ bestätigt. Das „Lorscher Arzneibuch“ wurde Ende des 8. Jahrhunderts in der Klosterabtei Lorsch (seit 1991 UNESCO-Weltkulturerbe) geschrieben. Nach einer nachgetragenen Bücherliste (fol. 42 v) war die Handschrift später im Besitz Kaiser Ottos III. (+ 1002) und gelangte über dessen Nachfolger, Heinrich II. (+ 1024), nach 1007 in die Bibliothek des Bamberger Domstifts. Heute wird sie in der Handschriftensammlung der Staatsbibliothek Bamberg unter der Signatur Msc.Med.1 aufbewahrt.
Neben einer Sammlung von 482 Arzneimittelrezepten enthält der Codex eine bedeutende anonym verfasste Einleitung (foll. 1r-5r): zur Erlernung der Heilkunde wird das Lesen heidnischer Fachliteratur empfohlen und die Medizin als Geste der Nächstenliebe und Barmherzigkeit gerechtfertigt. Kranke Menschen zu heilen galt zu jener Zeit noch als ein Eingriff in Gottes Werk und widersprach somit der Haltung der Kirche. Die Handschrift gilt als „Meilenstein der Medizingeschichte“ und hat nun Anerkennung im Register „Memory of the World“ erhalten.
Ein digitales Faksimile des „Lorscher Arzneibuchs“ (Msc.Med.1) ist in den Digitalen Sammlungen der Staatsbibliothek Bamberg und der „ Kaiser-Heinrich-Bibliothek“ sowie natürlich in der Virtuellen Klosterbibliothek Lorsch online zu sehen.
Informationen zu weiteren Bamberger Handschriften aus der ehemaligen Lorscher Bibliothek finden Sie hier.
Weitere Informationen auf den Webseiten der UNESCO:
- Lorscher Arzneibuch
- Lorscher Arzneibuch und Himmelsscheibe von Nebra sind Dokumentenerbe
- Lorsch Pharmacopoeia (The Bamberg State Library, Msc.Med.1)
- 54 new inscriptions on UNESCO Memory of the World Register
- Inscriptions of the documentary heritage in 2013
„Lorscher Evangeliar“ – virtuell wieder vereint
19.04.2013 – 08:18 | Michael Kautz
Im Rahmen des Projektes „Bibliotheca Laureshamensis – digital“ konnte nun auch das in vier Teile zerlegte „Lorscher Evangeliar“ virtuell wieder vereint werden. Die karolingische Pergamenthandschrift, die um 810 in der sogenannten Hofschule Karls des Großen entstand, gilt als eine Zimelie unter den Lorscher, ja sogar als eine der schönsten aller frühmittelalterlichen Handschriften. Sie ist fast vollständig in Goldtinte geschrieben, und jede Seite ist mit einem eigenen, kunstvoll und detailreich gestalteten Rahmen geschmückt. Besonders bemerkenswert sind die vier Evangelistenbilder (Matthäus, Markus, Lukas und Johannes) sowie die beiden Christusillustrationen (Christus mit Vorfahren und thronender Christus). Der Vorderdeckel und der Hinterdeckel des Einbandes wurden jeweils mit filigran geschnitzten Elfenbeintafeln verziert: vorn war die sogenannte Marientafel angebracht, hinten die Christustafel.
Die Handschrift war bald nach ihrer Entstehung in das Kloster Lorsch gelangt, wo sie über das gesamte Mittelalter hinweg aufbewahrt wurde. Dies bezeugt eine Notiz zur Neubindung des Codex im Jahr 1479 unter dem Lorscher Propst Eberhard von Wasen (Vatikan, BAV, Pal. lat. 50, fol. 124bv). Es ist zu vermuten, dass die Handschrift im Zuge dieser Neubindung in zwei Hälften – Matthäus und Markus, Lukas und Johannes – geteilt wurde. In der Mitte des 16. Jahrhunderts gelangte das „Lorscher Evangeliar“ unter Kurfürst Ottheinrich von der Pfalz aus dem Kloster Lorsch nach Heidelberg in die Bibliotheca Palatina und von dort während des Dreißigjährigen Krieges in die Biblioteca Apostolica Vaticana nach Rom. Hier wird noch heute der zweite Teil des „Lorscher Evangeliars“ mit den Evangelien nach Lukas und Johannes zusammen mit der Christustafel aus Elfenbein aufbewahrt (Pal. lat. 50). Aus Rom gelangte der erste Teil des Evangeliars auf fast unbekanntem Wege nach Alba Iulia, in eine Filiale der rumänischen Nationalbibliothek (Ms R II 1). Die elfenbeinerne Marientafel war spätestens 1785 vom Einband entfernt worden und befindet sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts in England, heute im Londoner Victoria and Albert Museum (Inv.-Nr. 138-1866).
Das komplette „Lorscher Evangeliar“ kann nun in allen seinen vier heutigen Einzelteilen auf der Website „Bibliotheca Laureshamensis – digital“ angesehen und durchblättert werden.
Zeugen antiker Medizin aus der Ratsschulbibliothek Zwickau
22.02.2013 – 10:54 | Michael Kautz
In der Ratsschulbibliothek in Zwickau werden neben anderen Schätzen vier Pergamentblätter (Fragm. CL a+b) aus dem 9. Jh. aufbewahrt. Aufschriften, Faltspuren und Verschmutzungen zeugen von ihrer Verwendung als Einbandhüllen seit der frühen Neuzeit. Der Autor des hier erhaltenen Textes, Caelius Aurelianus, stammte aus der römischen Provinz Africa proconsularis, heute im nördlichen Tunesien, und lebte um das Jahr 400. Vollständig bekannt sind nur seine acht Bücher über akute und chronische Krankheiten. Dadurch, dass seine Schriften hauptsächlich auf dem griechischen Arzt Soranos von Ephesos (um 100) aufbauen, gibt er uns Kunde von der antiken Heilkunst aus noch älterer Zeit.
Die Fragmente, die sich in Zwickau erhalten haben, bieten das 4. bis 10. Kapitel des 5. Buches über die chronischen Krankheiten. Sie sind beschrieben in karolingischer Minuskel, in einem Stil, wie er in der 1. Hälfte des 9. Jh. im Kloster St. Vaast im nordfranzösischen Arras und für ein oder zwei Jahrzehnte auch in Lorsch in Gebrauch war. Die Lorscher Provenienz des selten überlieferten Caelius ist durch die Verzeichnung in drei der vier Lorscher Bibliothekskatalogen des 9. Jh. gesichert. Von hier bezog der Humanist Johannes Sichardus zu Beginn des 16. Jh. das noch unzerstörte Manuskript für seine gedruckte Ausgabe des Werkes, die 1529 in Basel erschien. Sichardus war zwar ein erfahrener Herausgeber antiker Autoren, aber kein medizinischer Fachmann. Zur Seite stand ihm der Arzt und Philologe Janus Cornarius. Vermutlich mit Cornarius gelangte die Handschrift in dessen Heimatstadt Zwickau, wo er mehrere Jahre als Stadtarzt tätig war, und später in den Besitz von Paul Obermeyer, 1575-1589 Rektor der Ratsschule in Zwickau. Vielleicht handelte es sich jedoch bereits nur noch um die makulierten Reste, zumindest die beiden erhaltenen Doppelblätter dienten als Koperteinbände für zwei Bücher aus dem Besitz Obermeyers. 1921 bzw. 1922 entdeckte Otto Clemen, Bibliothekar der Ratsschulbibliothek, die beiden Fragmente.
Die Zwickauer Überreste des aus Lorsch stammenden Codex sind die einzigen erhaltenen handschriftlichen Überlieferungszeugen eines der umfangreichsten medizinischen Texte aus der Antike und zeugen zugleich von der häufigen Missachtung der Humanisten gegenüber ihren handschriftlichen Quellen aus früherer Zeit, sobald die Druckausgabe erschienen war.
Codex Pal. lat. 485 der Biblioteca Apostolica Vaticana: Ein Kleriker-Handbuch aus dem 9. Jahrhundert
03.12.2012 – 13:48 | Michael Kautz
Auf der ersten Seite des Codex Palatinus Latinus 485, der ca. 860-875 in Lorsch entstand und sich heute in der Vatikanischen Bibliothek befindet, hinterließ ein hoch- oder spätmittelalterlicher Leser die Bemerkung bonus liber (fol. 1r). Und tatsächlich liegt mit diesem Buch ein äußerst interessanter Zeuge für Aufgaben und Wirken Geistlicher im Mittelalter vor. Es enthält eine Auswahl an – wenigstens auf den ersten Blick sehr heterogenen – Texten: von spätantiken Konzilsbeschlüssen über vorkarolingische die Liturgie oder Seelsorge betreffende Schriften bis hin zu damals zeitgenössischen Werken kirchenrechtlicher Natur und vieles andere mehr.
Insbesondere bietet die Handschrift grundlegende Informationen zur Gottesdienstfeier und Sakramentenspende – vornehmlich zur Taufe – sowie zur Zeitbestimmung. Letztere war besonders wichtig, um die beweglichen kirchlichen Festtage im Jahreskreislauf zu ermitteln und um die unbeweglichen Termine festzuhalten und in saecula saeculorum feiern zu können, wie etwa den Tag der Überführung der Reliquien des heiligen Nazarius nach Lorsch: fol. 9r Aduentus sancti Nazarii in Lauresham zu V Id. Jul. (11. Juli). Hierzu diente ein Kalendar, dem astronomische Beitexte und Tafeln hinzugefügt wurden (foll. 4r-14r).
Für eine einheitliche Rechtspflege – nach damaligem Verständnis wohl eher zur Einhaltung des richtigen, gottgefälligen Rechts – mussten Kleriker mit den kirchlichen Bestimmungen vertraut sein. In Pal. lat. 485 wurden deshalb die Beschlüsse des Konzils von Nicaea aus dem Jahr 325 und bischöfliche Anordnungen des 9. Jh. zusammengestellt. Einen Übergang von diesen Canones bzw. Kapitularien stellen Bußbücher dar. Diese sind irisch-angelsächsischen Ursprungs und legen Bußen bzw. Strafen für einzelne Verfehlungen fest. Zur Bußpraxis gehörte auch die Beichte. Pal. lat. 485 enthält in einem Nachtrag aus dem letzten Viertel des 9. Jh. nicht nur ein lateinisches Beichtformular, sondern auch eine volkssprachliche Fassung mit einem vorgefertigten Beichttext, der wohl zum Nachsprechen bestimmt war: Es handelt sich hauptsächlich um eine reihende Aufzählung verschiedener Vergehen und ist geprägt durch das Bemühen um Vollständigkeit. Die althochdeutsche „Lorscher Beichte“ beginnt fol. 2v (in der 4. Zeile von unten) mit den Worten Ih gihu alamahtigen fater inti allen sinen sanctin inti desen uuihidon inti thir gotes manne allero minero sunteno … und schließt zwei Seiten später: … thaz druhdtin thuruh sino ginada giuuerdo mir farlazan allo mino sunda.
In weiteren, kleineren Nachträgen wurden Gesänge für den Gottesdienst auch mit ihren Melodien in Form von Neumen auf die Ränder von sechs Blättern geschrieben (foll. 101v, 102r, 106v, 109v/110r, 113v). Dies geschah wohl im 10. oder 11. Jh. Die im ursprünglichen Bestand der Handschrift zahlreich vorhandenen Messformulare bieten hingegen fast nur zu sprechende Gebete und wenige liturgische Gesänge. Allerdings sind im österlichen Exsultet-Gesang, fol. 48v in der 12. Zeile über O mira circa nos, Neumen notiert, die möglicherweise von der Hand des Schreibers des Textes stammen. Ist dieser Befund richtig, so enthielte die Handschrift einen der frühesten Belege für diese erst in den Jahrzehnten zuvor entwickelte musikalische Notation.
Mit Pal. lat. 485 liegt eine Sammelhandschrift sehr unterschiedlichen Inhalts vor, der sich über folgende Bereiche erstreckt: Liturgie, Sakramentenspendung und andere kirchliche Rituale, Katechese und Predigt, Komputistik, Medizin, Rechtswesen, Grundkenntnisse griechischer und hebräischer Vokabeln, Transkription des Griechischen und auch Kryptographie. Alle Texte weisen einen Bezug zu den Aufgaben Geistlicher auf. Der Codex könnte von Lorscher Mönchen für Weltkleriker oder zu deren Ausbildung kompiliert worden sein, die im Umfeld und auf den Besitzungen des Klosters Lorsch die dort ansässigen Menschen zu betreuen hatten. Zweck und Funktion solcher Handbücher werden die Studien von Carine van Rhijn (Univ. Utrecht) und Steffen Patzold (Univ. Tübingen) zum frühmittelalterlichen Eigenkirchenwesen weiter erhellen.
Neue Handschriftenbeschreibungen online: Das „Lorscher Arzneibuch“ und andere Codices Laureshamenses aus der Staatsbibliothek Bamberg
25.10.2012 – 13:48 | Michael Kautz
Fünf ehemalige Lorscher Handschriften befinden sich heute in der Staatsbibliothek Bamberg. Zu allen stehen nun wissenschaftliche Beschreibungen als PDF-Datei in der Online-Präsentation der Handschriften zur Verfügung. Außerdem sind sie über die Projekt-Datenbank recherchierbar.
Nicht nur im Falle des berühmten „Lorscher Arzneibuchs“ handelt sich bei den fünf Codices um bedeutende Textzeugen und wichtige Dokumente der Lorscher Bibliotheks- und Schriftgeschichte:
- Msc. Bibl. 37: Origenes (185/86-254), Homiliae in librum Iudicum (Lorsch, ca. 2. Viertel 9. Jh.)
- Msc. Bibl. 93: Evangeliar (Lorsch, ca. 2. Viertel 9. Jh.)
- Msc. Lit. 132: Amalarius von Metz (um 775-um 850), Liber officialis (Lorsch, 2. Hälfte 10. Jh.)
- Msc. Med. 1: Medizinisches Kompendium bzw. „Lorscher Arzneibuch“ (Lorsch, um 800)
- Msc. Patr. 69: Gregor der Große (ca. 540-604), Homiliae in Ezechielem & Epistulae (Mainz, 11. Jh.)
Alle Manuskripte sind in karolingischer Minuskel geschrieben, vier entstanden im Skriptorium von Lorsch: Das „Lorscher Arzneibuch“, geschrieben im „Älteren Lorscher Stil“ (nach Bernhard Bischoff), gehört zu den frühesten Schriftzeugnissen des Reichsklosters und gilt als älteste medizinische Handschrift des deutschen Raumes. Es enthält eine bemerkenswerte Einleitung (foll. 1r-5r), in der ein anonymer Autor die Heilkunst als Gelegenheit, Barmherzigkeit zu üben, rechtfertigt. Unter den einführenden Texten zum Hauptteil mit medizinisch-pharmazeutischen Rezepten findet sich außerdem eine Kurzfassung des hippokratischen Eides (fol. 6r). Der Codex bietet auch einige erläuternde Glossen in althochdeutscher Sprache des frühen 9. Jh., besondere Berühmtheit erlangte er durch die fol. 42v eingetragene Bücherliste Kaiser Ottos III. (996-1002).
Die Origines-Handschrift und das Evangeliar sind im „Jüngeren Lorscher Stil“ geschrieben; letzteres gehört aufgrund der kalligraphischen Ausführung zur Gruppe der Manuskripte, die Bernhard Bischoff als Grundlage zur Bestimmung dieser mit heute noch ca. 100 erhaltenen Handschriften bedeutendsten Schaffensphase des Lorscher Skriptoriums benutzte. In der zweiten Hälfte des 10. Jh., aus dem nur etwa 20 Lorscher Manuskripte überliefert sind, entstand die Abschrift des Liber officialis, eines Handbuchs zur Liturgie von Amalarius von Metz. Nach den paläographischen Studien Hartmut Hoffmanns kam es im 11. Jh. nicht nur zu einem erneuten Aufschwung des Lorscher Skriptoriums, auch ermittelte er mehrere in Lorsch geschulte Schreiber an anderen Skriptorien; so hatte etwa eine Lorscher Hand vermutlich Anteil am Mainzer Codex mit Predigten und Briefen Papst Gregors des Großen.
Das „Lorscher Arzneibuch“ wurde wahrscheinlich von Kaiser Heinrich II. (1002-1024) an das von ihm gegründete Bamberger Bistum geschenkt. Anhand der paläographischen Bestimmung eines Nachtrags (fol. 11r) lässt sich sagen, dass das Evangeliar spätestens Ende des 11. Jh. nach Bamberg gelangte; aufgrund einer unmittelbaren Abschrift aus dem 1. Viertel des 12. Jh. (Bamberg, SB, Msc. Patr. 112) ist zu schließen, dass sich die Origenes-Handschrift zu diesem Zeitpunkt bereits hier befand. Der Mainzer Gregor-Codex gehörte nach einem Besitzvermerk (fol. 1r) wohl spätestens seit dem 14. Jh. zur Bamberger Dombibliothek. Alle fünf Codices wurden 1611 am fränkischen Bischofssitz neu gebunden, die Einbände schützen die 1803 im Zuge der Säkularisation in bayerischen Staatsbesitz gelangten Handschriften noch heute. Außer zu Msc. Patr. 69 finden Sie digitale Reproduktionen auch in der von der Staatsbibliothek Bamberg betriebenen „Kaiser-Heinrich-Bibliothek“.
Renaissanceeinbände des 16. Jahrhunderts aus der Bibliothek Ottheinrichs von der Pfalz
27.06.2012 – 14:48 | Michael Kautz
Im 19. Jh. wurden in der Biblioteca Apostolica Vaticana zahlreiche Codices restauriert, wozu Rechnungen von 1833 bis 1874 erhalten sind. Die Buchbinder ersetzten dabei einige der Einbände komplett. Kostbare Stücke wurden jedoch in den Fondo legature überführt und bis heute aufbewahrt. Hier finden sich auch mindestens 29 Ziereinbände, die der Wittelsbacher Ottheinrich (1502-1559, Pfalzgraf bei Rhein, seit 1522 Landesherr im Herzogtum Pfalz-Neuburg, seit 1556 Kurfürst von der Pfalz) in den 1540er und 1550er Jahren, die Mehrheit in kurfürstlicher Zeit, anfertigen ließ. Mit der Heidelberger Bibliotheca Palatina gelangten sie 1622/23 nach Rom, während der Großteil der Bücher, um Gewicht zu sparen, seinen historischen Einband verlor und in Kisten über die Alpen transportiert wurde.
Unter den im vatikanischen Fondo legature ermittelbaren vier Ottheinrich-Einbänden, die vormals Handschriften aus Bibliothek und Skriptorium von Lorsch schmückten, befindet sich Pal. lat. 239 (Isidor von Sevilla, Chronica maiora; 9. Jh.): Die Holzdeckel wurden mit braunem Leder überzogen. Auf dem Vorderdeckel ist das mit einem Plattenstempel aufgebrachte Wappensupralibros mit Pfälzer Löwen und bayerischen Rauten zu sehen, darüber die abgekürzte Devise MDZ (Mit der Zeit) und darunter das Monogramm OHP (Otto Heinrich Pfalzgraf) sowie die Jahreszahl 1548, alles in Goldprägung. Eine mit Rollenstempel geprägte Rahmung auf Vorder- und Hinterdeckel zeigt den alttestamentlichen König David mit Harfe, den Apostel Paulus mit Buch und Schwert sowie den auferstandenen Christus.
Zwei weitere Einbände tragen dasselbe vergoldete Wappen mit Devise und Monogramm und stammen ebenfalls aus dem Jahr 1548: Der ehemalige Einband von Pal. lat. 930 (Wormser und Lorscher Briefsammlung; 11. Jh.) ist auf Vorder- und Hinterdeckel mit der sogenannten Salvatorrolle aus der Buchbinderwerkstatt Ottheinrichs gerahmt und zeigt drei Motive (Sündenfall mit Adam und Eva unter dem Baum der Erkenntnis, Kreuzigung und Auferstehung Christi), hier leider stark abgerieben; der Buchrücken wurde 1853/54 noch neu bezogen und präsentiert goldene Wappenstempel von Papst Pius IX. und dem vatikanischen Bibliothekspräfekten Angelo Mai. Der Ottheinrich-Einband, der einst die Handschrift Pal. lat. 1513 (Cicero, De finibus bonorum et malorum; 11. Jh.) zierte, trägt auf beiden Deckeln eine Rahmung mit Köpfen in Medaillons und architektonischen Schlossdarstellungen.
Der vierte Ottheinrich-Einband schützte bis ins 19. Jh. die Handschrift Pal. lat. 1649 (Priscian, Partitiones XII versuum Aeneidos principalium; 9. Jh.), die allerdings nur möglicherweise zur Lorscher Bibliothek gehört hatte: Er trägt die vergoldete Jahreszahl 1556. Auf dem Vorderdeckel befindet sich ein vergoldetes Porträtsupralibros mit Ottheinrich in einem Medaillonrahmen, nun mit den Initialen OHPC (Otto Heinrich Pfalzgraf Churfürst). Auf dem Hinterdeckel sieht man das ebenfalls vergoldete kurpfälzische Wappen mit dem Reichsapfel als Abzeichen für das Hofamt des Erztruchsessen, das dem Kurfürsten von der Pfalz vorbehalten war. Die Rahmen bestehen aus Blumengerank, auf dem Vorderdeckel wurde über dem Bildnis Ottheinrichs ein vergoldeter Engelskopf eingeprägt.
Lange musste sich Ottheinrich mit Titel und Würde eines Pfalzgrafen bei Rhein und dem Herzogtum Pfalz-Neuburg begnügen, bis er nach dem Tode Friedrichs II. 1556 die kurfürstlich-pfälzische Herrschaft antreten konnte. Aber schon zuvor demonstrierte Ottheinrich seinen Rang auch mit den Büchern seiner Bibliothek, die er, wie die Einbände nahelegen, spätestens ab dem Jahr 1548 mit Handschriften aus dem Kloster Lorsch vergrößerte. Insgesamt sind mehrere hundert Ottheinrich-Einbände erhalten. In der Universitätsbibliothek Heidelberg werden 92 Exemplare aufbewahrt, z.B. ein besonders prächtiges, wenn auch kein typisches Stück aus dem Jahr 1558 zum Codex Palatinus Germanicus 833. 27 Stücke befinden sich in Ottheinrichs erster Residenzstadt Neuburg a.d. Donau, 26 in der Bayerischen Staatsbibliothek in München. Weitere Ottheinrich-Einbände sind in Mainz und Köln sowie Streubestände auch an anderen Orten zu lokalisieren. Zu letzteren gehört ein fünfter bekannter Ottheinrich-Einband, der (noch immer) eine ehemalige Lorscher Handschrift (Boethius, Institutio arithmetica; 9. Jh.) schützt: Er stammt aus dem Jahr 1548 und liegt heute in der ungarischen Nationalbibliothek in Budapest (Cod. lat. 3).
Nachtrag (28.05.2013): Auch eine Handschrift aus dem vatikanischen Palatina-Fonds, Pal. lat. 573 (Iustinianus, Confessio fidei; 9. Jh.), trägt noch immer einen Ottheinrich-Einband. Dieser stammt aus dem Jahr 1558 und bietet ähnliche goldgeprägte Porträt- bzw. Wappensupralibros wie auch Pal. lat. 1649.
Nachtrag (11.03.2014): Die zweite Lorscher Handschrift (Canticum canticorum cum glossa; um 1200) aus der ungarischen Nationalbibliothek in Budapest (Cod. lat. 51) besitzt ebenfalls noch heute ihren Ottheinrich-Einband: Dieser weist ein Porträtsupralibros mit Beischrift und Jahreszahl 1553 sowie ein Wappensupralibros wie Pal. lat. 239 etc. auf.
Augsburger und Erlanger Fragmente: Reste einer Lorscher Prachthandschrift
20.02.2012 – 16:21 | Michael Kautz
Zumindest in Fragmenten ist ein prachtvoll gestaltetes karolingisches Sakramentar aus Lorsch überliefert. Das Buch, das die vom Priester während des Gottesdienstes zu sprechenden Gebete enthält, wurde ca. im dritten Viertel des 9. Jh. in Lorsch hergestellt. Geschrieben wurde es von Schreibern, die sehr wahrscheinlich auch am „Lorscher Rotulus“ (Frankfurt/M., StUB, Ms. Barth. 179) beteiligt waren. Zu einem unbekannten Zeitpunkt wurde der Codex makuliert; die heute in den Universitätsbibliotheken in Augsburg (Cod. I.2.4° 1) und Erlangen (Ms. 2000) verwahrten Reste wurden als Einbandhüllen für andere Bücher verwendet.
Die Zerstörung der Handschrift erscheint aufgrund ihrer künstlerischen Ausschmückung besonders tragisch, gerade weil aus Lorsch kaum illuminierte Codices aus karolingischer Zeit bis heute überdauert haben. Umso erfreulicher ist die zumindest in Bruchstücken erfolgte Erhaltung dieses liturgischen Buches, das in Teilen seiner künstlerischen Gestaltung auf Vorlagen aus dem „Lorscher Evangeliar“ (Alba Iulia, Bibl. Batthyáneum, Ms R II 1 und Vatikan, BAV, Pal. lat. 50) zurückgeführt wird. Im Erlanger Fragment mit dem Hochgebet, dem Kernstück einer jeden Gottesdienstfeier, ist der Anfang des Messkanons (Te igitur clementissime pater) – wie auch in anderen Sakramentaren bis in die heutige Zeit – als sogenannte Te-Igitur-Seite ausgeschmückt. Der erste Buchstabe, das T, nimmt hier ca. zwei Drittel der Seite ein, es trägt unter anderem eine Darstellung Christi mit Segensgestus und Buch und wird selbst von einem Engel mit zum Gebet ausgestreckten Armen getragen. Das Augsburger Fragment enthält Messgebete für die Pfingstwoche. Es beginnt mit einer das Pfingstwunder illustrierenden farbigen Initialzierseite: Wohl aus einem verblassten Strahlenbündel im Mittelfeld des oberen Rahmens empfangen die in weiteren elf Rahmenfeldern mit ihren Köpfen dargestellten Apostel über versinnbildlichende Feuerzungen den Heiligen Geist. Dieser selbst ist (nochmals) abgebildet als Taube, die einen den Abkürzungsstrich für das Wort Deus ersetzenden Zweig im Schnabel hält. Das D (in unzialer Form) ist als Flechtbandinitiale, das S wie auch die folgenden Wörter des ersten Messgebets in einer insularen Ziermajuskelform ausgeführt. Auf den nächsten zwei Seiten folgen die restlichen Gebete für die Pfingstsonntagsmesse, in karolingischer Minuskel komplett in Gold geschrieben.
Der Messkanon der Gottesdienstfeier enthält verschiedene Abschnitte, in denen das Gedenken an besondere Lebende und Tote zelebriert wird. Das Erlanger Fragment bietet auf Blatt [1]v im „Communicantes“, dem Heiligengedächtnis, den Namen des Lorscher Klosterpatrons Nazarius, hervorgehoben in goldenen Majuskelbuchstaben. Auf derselben Seite sind in einem Nachtrag aus der ersten Hälfte des 10. Jh. auf den linken Rand die Namen von fünf Lorscher Äbten notiert und mit einem verzierten Goldrahmen umgeben: Hatto (901-913), Adalbero (895-897 und 900-901), Thiothroch (864/65-876), Eigilbert (856-864/65) und Babo (876-881). Diesen sollte – wie auch einem Theotolah, wohl Thiethlach (890/91-914 Bischof von Worms) und einem nicht näher zu identifizierenden Fridagar sowie zwei unterhalb des Goldrahmens verzeichneten Bischöfen aus dem 11. Jh. (Werinher von Merseburg und Burchard von Basel) – als besonders erinnerungswürdig angesehenen Wohltätern des Klosters im Einleitungsgebet des Messkanons oder im darauf folgenden „Memento“ gedacht werden.
Die Fragmente dieses aufgrund der Nameneinträge nicht nur für Liturgie und Buchkunst in Lorsch, sondern auch für die allgemeine Klostergeschichte wichtigen Zeugnisses wurden im Rahmen des Projektes „Bibliotheca Laureshamensis – digital“ virtuell wieder zusammengeführt. Damit steht dieses historische und zugleich künstlerische Dokument nicht nur der Forschung bequem zur Verfügung.
„Lorscher Rotulus“: Eine liturgische Buchrolle aus der Zeit Ludwigs des Deutschen ist online!
27.10.2011 – 11:36 | Michael Kautz
Der „Lorscher Rotulus“ (Frankfurt a.M., StUB, Ms. Barth. 179) entstand in Lorsch unter der Herrschaft Ludwigs des Deutschen (gestorben 876), des Enkels Karls des Großen. Eventuell war er zur Verwendung am Hof des ostfränkischen Herrschers bestimmt gewesen. Es handelt sich um die einzige erhaltene liturgische Buchrolle aus karolingischer Zeit aus der Region nördlich der Alpen. Mit seinen ca. 530 Heiligenanrufungen und den folgenden Fürbitten, verteilt über 244 Zeilen, gehört er außerdem zu den längsten frühmittelalterlichen Litaneien.
Der Name des Lorscher Klosterpatrons Nazarius ist mit Goldtinte und in Majuskelbuchstaben hervorgehoben (Recto-Seite, Zeile 28, linke Spalte). Unter den Fürbitten findet sich u.a. eine für Ludwig den Deutschen, dessen Gemahlin Hemma und deren Nachkommen: ut Hludouuicum regem perpetua prosperitate conseruare digneris … ut Hemmam reginam conseruare digneris … ut nobilissimam eorum prolem in salutem populi christiani conseruare digneris, te rogamus (Recto-Seite, Zeile 232-235). Der Name Ludwigs, der auch in Lorsch bestattet wurde, ist mit einem goldenen Kreuz hervorgehoben.
Die Nachträge auf der Rückseite (10./11. Jh.), darunter ein Schatzverzeichnis des Frankfurter Salvatorstifts, wo sich der Rotulus seit dem 10. Jh. befand, stammen nicht aus Lorsch.
Online: Spätantike Vergil-Handschrift
24.10.2011 – 12:31 | Michael Kautz
Unter den ältesten Handschriften der Lorscher Klosterbibliothek befindet sich ein besonderes Kleinod: Der „Vergilius Palatinus“ (Vatikan, BAV, Pal. lat. 1631) enthält die Eklogen, die Georgica und die Aeneis. Der Codex wurde im 5./6. Jahrhundert in Italien geschrieben und gehört zu den drei ältesten und wichtigsten Textzeugen des römischen Dichters. Die Handschrift ist komplett in einer Majuskelschrift geschrieben. Dem Humanisten Sebastian Münster (1488-1552) schien der Codex so altehrwürdig, dass er ihn für einen Autographen Vergils hielt.
„Vergilius Palatinus“ (Vatikan, BAV, Pal. lat. 1631)
Vorerst sind noch Zugriffsbeschränkungen zu beachten. Frei zugänglich ist die Vergil-Handschrift zunächst nur von Rechnern der Biblioteca Apostolica Vaticana und des Kloster Lorsch aus sowie für Angehörige der Universität Heidelberg und Besucher der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Heidelberg.
„Lorscher Evangeliar“ online
24.10.2011 – 12:15 | Michael Kautz
Das wohl bekannteste und kostbarste Werk unter den erhaltenen Lorscher Codices ist das „Lorscher Evangeliar“. Die prachtvoll ausgestattete Evangelienhandschrift ist um 810 an der Hofschule entstanden und gelangte noch im selben Jahrhundert in die Klosterbibliothek. Das „Lorscher Evangeliar“ wurde vermutlich im Jahr 1479 in zwei Hälften geteilt, welche Mitte des 16. Jahrhunderts in die Heidelberger Bibliotheca Palatina überführt wurden.
Der erste Teil befindet sich heute in der rumänischen Nationalbibliothek, der zweite Teil (Pal. lat. 50) in der Vatikanischen Bibliothek. Diese zweite Hälfte sowie eine der kostbaren Elfenbeintafeln, welche einst den Einband der Evangelienhandschrift schmückte und heute ebenfalls im Vatikan aufbewahrt wird, ist nun in die Lorscher Virtuelle Bibliothek integriert worden.
„Lorscher Evangeliar“ (Vatikan, BAV, Pal.lat.50)
Vorerst sind noch Zugriffsbeschränkungen zu beachten. Frei zugänglich ist die Handschrift zunächst nur von Rechnern der Biblioteca Apostolica Vaticana und des Kloster Lorsch aus sowie für Angehörige der Universität Heidelberg und Besucher der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Heidelberg.
Nachzügler aus Speyer und Mainz
Das 2011 vom Stadtarchiv Speyer als unauffindbar gemeldete Isidor-Fragment (Bestand 225 [Fragmente, aus Bestand 122-1], Nr. 37) konnte kürzlich ermittelt werden. Digitale Reproduktionen wurden angefertigt und sind nun in die „Virtuelle Klosterbibliothek Lorsch“ aufgenommen.
Speyer, Stadtarchiv, Bestand 225 (Fragmente, aus Bestand 122-1), Nr. 37
Isidorus
Quaestiones in Vetus Testamentum (Fragment)
Lorsch, um 900
Des Weiteren konnte die Sammlung um historische „Palimpsestphotographien“ ergänzt werden, die die ausradierten Schriftseiten aus Mainz, Martinus-Bibliothek, Hs. 42 besser erkennen lassen.
Mainz, Martinus-Bibliothek, Hs. 42a (Palimpsestphotographien)
Sacramentarium Gregorianum Hadrianum
Westdeutschland oder Rheinland (?), (wohl 1. Hälfte) 9. Jh.
Beschreibungen der Handschriften nun auch im Druck erschienen
Die Beschreibungen der erhaltenen Lorscher Handschriften sind in der Virtuellen Bibliothek der „Bibliotheca Laureshamensis – digital“ als PDF zu jeder einzelnen Handschrift online einsehbar und können über die Projektdatenbank im Internet systematisch durchsucht werden. Ergänzend sind sie Anfang November nun auch in geschlossener Form im Druck erschienen:
Michael Kautz (Bearb.), Bibliothek und Skriptorium des ehemaligen Klosters Lorsch. Katalog der erhaltenen Handschriften, 2 Bde., Wiesbaden: Harrassowitz 2016.
Der Katalog wird durch eine ausführliche Darstellung des Forschungsstandes eingeleitet und ist versehen mit verschiedenen Registern, von denen das der (außer den Autoren) sonstigen genannten Personen und das der (nicht aus Lorsch stammenden) sonstigen zitierten Handschriften über das Angebot der Datenbank hinausgehen. Das Inhaltsverzeichnis können Sie auf den Verlagsseiten einsehen.
„Wiener Livius“: Erste Handschrift der Österreichischen Nationalbibliothek online
14.10.2011 – 09:38 | Michael Kautz
Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 15
Livius
Ab urbe condita, libb. XLI-XLV
Italien, 5. Jh.
Die Österreichische Nationalbibliothek in Wien ist neben der Bayerischen Staatsbibliothek München und der Bodleian Library in Oxford eine der Bibliotheken, die über einen umfangreichen Bestand von je ca. 20 Lorscher Handschriften verfügen.
Unter den Wiener Handschriften befindet sich ein sehr altes und für die Textüberlieferung höchst bedeutendes Manuskript: Es enthält als „Codex unicus“ die nur hier erhaltenen Livius-Bücher 41-45. Nach dem Eintrag fol. 193v (… ep[iscop]i de Dorostat) befand sich die Handschrift Ende des 8. oder Anfang des 9. Jh. vermutlich im Besitz eines Bischofs von Utrecht. In der Lorscher Bibliothek wurde sie 1527 von Simon Grynaeus entdeckt, daraufhin erschien die Erstausgabe der halben 5. Dekade des augusteischen Geschichtsschreibers mit einer Einleitung von Erasmus von Rotterdam 1531 in Basel. Der Codex gelangte 1665 in die kaiserliche Hofbibliothek in Wien.